Die Klassifikation des nicht Klassifiziertes: Eine Untersuchung der Residualkategorien in ICD-10
Gioele Barabucci
gioele.barabucci@uni-koeln.de
Abstract
ICD-10 ist die 10. Version der International Classification of Diseases, eine Taxonomie medischer Begriffe. Nach der Ökonomisierung des Gesundheitswesens, spielt ICD-10 eine extrem wichtige Rolle als Grundlage der nationalen Klassifikationssysteme, die als Schnittstellen zwischen Arztpraxen und Krankenkassen fungieren. Um eine angemessene Erstattung für ihre Leistungen zu bekommen, müssen Ärtzt:innen jede Behandlung mit dem richtigen ICD-10-Code kennzeichnen.
Daher entsteht für die Ersteller:innen von ICD-10 eine Spannung zwischen einerseits dem Bedürfnis, möglichst präzise Kategorien und Begriffe anzubieten, und andererseits der Notwendigkeit, die gesamte Klassifikation nicht zu verkomplizieren. So findet man in ICD-10 sowohl detaillierte Begriffe wie “I13.11 Cardiorenal hypertension without heart failure with stage 5 or end stage renal disease” oder “B96.21 Escherichia coli O157 with confirmation of Shiga toxin when H antigen is unknown, or is not H7” als auch breite Kategorien wie “R50.82 Postoperative fever”.
Thema dieses Vortrags sind die Residualkategorien in ICD-10. Angesichts ihrer taxonomischen Gestaltung, gibt es in ICD-10 mehr als eine einzige “Verschiedenes”-Kategorie. In der Tat enthält ICD-10 Dutzenden von Residualkategorien. Alle diese Residualkategorien unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht voneinander: Unter anderem unterscheiden sie sich in ihrer Höhe in der taxonomischen Baumstruktur, in der Zahl der zugeordneten Subkategorien und darin, ob sie überhaupt Subkategorien haben. Aus ontologischer sicht, der relevanteste Aspekt ist, dass diese Unterschiede zwischen Residualkategorien beweisen, dass es unterschiedliche Arten von “miscellanea” gibt, z.B. “außer”-Kategorien (“L56.8 Photodermatitis due to light other than sun”), “nicht näher beschrieben”-Kategorien (“C46.9 Kaposi’s Sarcoma of unspecified site C46.9”) oder “unbekannt”-Kategorien (“R11.14 Bilious vomiting (cause unknown)"). Diese Unterschiede wurden aber bisher von den Ersteller:innen nicht berücksichtigt, mit dem Ergebnis, dass man in ICD-10 ein Potpourri von solchen Kategorien finden kann.
Neben der Beschreibung der konkreten Beispiele von Residualkategorien in ICD-10, wird der Vortrag auch die technischen Schwierigkeiten veranschaulichen, auf die man bei der Implementierung von Annotationstools — oder allgemein bei der Umsetzung von DH-Projekten — stößt, wenn sie eine Kategorisierung nützen, die Residualkategorien enthält.